Currently, BIPoC are 24/7 asked how it is to be Black and how it is to experience racism. The journalist Malcolm Ohanwe asks white people to reflect on and question their whiteness. I am doing so and share how I realized that my skin is white. And what this means to me. I might get criticized; I might do errors. This might cause confusion, or maybe anger? Ohanwe says that he wants that white people once are the objects of scrutinization. This is my contribution.
Mein Weisssein wurde mir zum ersten Mal bewusst, als ich nach dem Gymnasium alleine reisen ging. Ich bin als 19-Jährige, als relativ naive, neugierige junge Frau drei Monate alleine nach Zentralamerika gereist, ohne Plan, ohne Ziel, ohne viel Vorwissen. Ich hatte das Gefühl, ich müsse ‘mich selbst’ finden, und damit ich das kann, muss ich ganz weit weggehen. Im Nachhinein verstehe ich nicht ganz, was ich dort gesucht hatte. Mein Weisssein ist mir dadurch aufgefallen, wie die Menschen auf mich reagierten. Je nach Geschlecht wurde ganz unterschiedlich auf mich reagiert, ich hatte das Gefühl, lokale Frauen mieden mich eher, während Männer mich eher ansprachen, mich kennenlernen wollten, mit mir interagieren wollten.
Ich habe gemerkt, wie sehr meine Person mit Geld, Emanzipation und Bildung assoziiert wurde. Es hat Menschen verwirrt, dass ich als junge Frau alleine unterwegs bin. Mit meinen selbstgedrehten Zigaretten. Ich habe gemerkt, wie es die Menschen verwirrt hat, wenn ich am Strand tagelang alleine Bücher lies. Ein junger Mann fragte mich einmal, weshalb ich das mache, wie mir so etwas gefallen kann, weshalb ich ans andere Ende der Welt reise, um dort Bücher zu lesen. Ein anderer junger Mann hat mich auf meiner letzten Reise, in der Wüste (La Guajira) Kolumbiens gefragt, weshalb eigentlich weisse Frauen so sex-geil seien. Warum wir so viel Sex hätten und unsere Männer betrugen. Das war seine Vorstellung von einer weissen, europäischen Frau.
Ich habe immer das Gespräch gesucht, versuchte irgendwie dem Mainstream Tourismus zu entfliehen, musste mir dann zugestehen, dass ich meine Machtposition nicht verleugnen kann. Dass mein Aussehen, mein Weisssein, meine blonden langen Haare und meine grünen Augen mich verraten. Ich fühlte mich unwohl. Ich wollte nicht als Geldquelle angesehen werden, doch das war ich. Ich konnte es ihnen ganz und gar nicht übelnehmen. Schon nur meine Präsenz wurde mit Macht verbunden. Ich wurde manchmal so richtig umschwärmt. Und umworben. Als wäre ich für die Menschen, die mit mir unterwegs waren, eine Art ‘Statussymbol’. Weil Weisssein auch in vielen südamerikanischen Gesellschaften Macht und Reichtum bedeutet.
Ich merkte, dass ich nicht in dieser Position sein will. Ich merkte, dass ich solche Reisen nicht mehr antreten will, es sei denn, ich kenne Menschen, die von dort sind und die schon meine Freund*innen sind. Ich fühlte mich wie eine Kolonialistin. Ich geniesse eine Auszeit, konsumiere die Kultur anderer und erlange somit irgendwie eine komische Form von kulturellem Kapital in unserer westlichen Gesellschaft. Ich fühlte mich wie eine Kolonialistin, weil es immer noch dieselbe Richtung ist, in welcher wir Reisen. Wir gehen in weniger reiche Länder, Länder, die uns erstmals fremd erscheinen, und nehmen etwas von dort mit. Sei es kulturelles oder gesellschaftliches Wissen, oder Wissen über uns selber. Umgekehrt ist es nicht möglich. Die meisten, die ich in Kolumbien kennenlernte, hatten nicht mal annähernd so viel von ihrem eigenen Land gesehen wie ich. Weil sie keine finanziellen Mittel haben. Viele träumten davon einmal nach Europa reisen zu können. Ich fühlte mich wie eine Kolonialistin, weil ich Lateinamerika entdecken gehe und weil es umgekehrt nicht möglich ist. Kolonial ist, wie junge und alte Europäer*innen und Amerikaner*innen einheimische, indigene abfotografieren und hier zur Schau stellen. Um alles in der Welt will ich nicht mit solchen Menschen in Verbindung gebracht oder assoziiert werden. Die Konsequenz für mich war, dass ich solche Reisen nicht mehr antrete, denn, verständlicherweise, werde ich mit diesen Menschen assoziiert.
Mein Weisssein lässt sich gut durch die Theorie der Singularisierung von Andreas Reckwitz beschreiben. Menschen der weissen Mittelklasse haben das Gefühl, ihr wahres Selbst entdecken zu müssen und versuchen immer, speziell und einzigartig zu sein, indem sie verschiedene Gegenstände oder Eigenschaften von verschiedenen Zeiten, Kulturen und sozialen Schichten kombinieren und sich aneignen. Wir müssen eine möglichst spezielle Kombination konstruieren, damit wir als Individuen anerkennt und geschätzt werden. Tango, Chi-Gong, Yoga, Intellekt, kulturelle Offenheit, Diversität, Qualität, Kreativität und Selbstentfaltung. Recktwitz schreibt Folgendes: „Die neue Mittelklasse fühlt sich auch berechtigt, sich fremde Kulturen anzueignen. So wie man sich Yoga aus Indien oder Tai-Chi aus China aneignet, so übernimmt man das Tattoo aus dem eigentlich urproletarischen Milieu, findet es cool. […] Und trinkt sein Bier in der urproletarischen Eckkneipe. Man bedient sich ungeniert im gesamten kulturellen Ressourcenhaushalt, inclusive der Vergangenheit. Man wohnt in Altbauwohnungen, hat ein Tattoo und macht Tai-Chi – historische Tradition, geographische Fremdheit und fremde Klasse werden sich angeeignet“.
Diese Beschreibung von Reckwitz erfasst mein Weisssein, bevor ich erkannt habe wie problematisch dieses Weisssein ist. Ich habe nicht gemerkt, dass es problematisch ist, einfach das zu nehmen, was ich will, nur weil ich es mir finanziell leisten kann. Nur weil ich Bock darauf habe. Ich habe zum Beispiel, eigentlich aus feministischen Gründen, plötzlich Lust gehabt, Musik aufzulegen. Doch die Musik, die ich höre, stammt fast ausschliesslich von BIPoC Künstler*innen: Afrobeats, Dancehall, Hiphop, Reggaeton, Merengue etc. Plötzlich habe ich gemerkt, dass es fragwürdig ist, dass ich als weisse Person solche Musik auflege. Weiss ich genug darüber? Bin ich mir bewusst, was diese Musik für die Menschen bedeutet, die sie produzierten? Legen BIPoC in anderen geographischen Kontexten weisse Musik, Schweizer Musik auf? Das tönt jetzt provokativ, vielleicht übertrieben. Aber ich habe mich sowieso nie wirklich gut gefühlt dabei. Ich habe gemerkt, dass ich es nicht mehr mit mir selbst vereinbaren kann, dies zu tun. Auf der Bühne zu stehen, hinter dem Mischpult, mit Musik, die nichts mit meiner Person, mit meinen Lebenserfahrungen zu tun hat, ausser, dass ich Regionen, wo diese Musik gespielt wird, besucht habe oder dass ich Menschen kenne und Freund*innen habe, die viel mit dieser Musik zu tun haben. Das reicht mir nicht aus. Grundsätzlich denke ich mir heute viel mehr, just pass the mic.
Mein Weisssein hat sich verändert. Ich stehe meinem Weisssein kritischer Gegenüber, dank dem, dass mich nahestehende Menschen mit meinen weissen Privilegien konfrontiert haben. Vor mehr als fünf Jahren habe ich einen Menschen, der viel weniger privilegiert ist, als ich, kennengelernt, der mir bis heute sehr nahesteht und der mich konstant mit meinen weissen Privilegien konfrontiert. Dies ist eigentlich nicht seine Aufgabe. Ich hätte es wahrscheinlich selber merken müssen. Er hat mir gezeigt, dass es ein enormes Privileg ist, überhaupt Eltern zu haben, immer jemanden zu haben, der*die einen aus finanziellen Notständen rausholt, immer jemanden zu kennen, der*die einem Geld leihen könnten, die Landessprache zu sprechen, zusätzlich noch drei andere Sprachen fliessend zu sprechen, einfach so. Ohne viel Aufwand. Ich habe einige Male Dinge gesagt/getan, für die ich mich heute schäme. Ich war einmal erstaunt, als er sein Studium begann und einen Artikel geschrieben hatte und darin Ausdrücke verwendete, die ich ihm wahrscheinlich irgendwie nicht zutraute. Dank dem, dass er mir gesagt hat, wie schmerzhaft es sei, konstant unterschätzt zu werden, sogar von einer nahestehenden Person, erkannte ich meine intellektuelle Arroganz. Eine Arroganz, die uns an unseren Gymnasien und an unseren Universitäten eingetrichtert wird. Ihr seid die Elite, hiess es. Ihr werdet die Welt verändern. Ihr seid mächtig, ihr seid wichtig, ihr seid intelligent. Wir brauchen EUCH.
Wir lernen, dass unsere Geschichtsschreibung die Wahre ist. Das es mal so was wie Kolonialismus gab. Der ist aber schon lange vorbei. Obwohl… Die Schweiz war ja sowieso nicht involviert. Sagen sie.
Ich finde selber gar keine Worte für diese Ignoranz.
Seit ich die Schweiz verlassen habe und nach England gezogen bin – ich studiere dort an einer super elitären Uni, die ich nur Dank meinen Eltern besuchen kann – hat sich der Prozess der Selbstreflektion intensiviert. Dort habe ich BIPoC Dozierende kennengelernt, welche mir noch mal einen Spiegel vors Gesicht hielten. Ich habe mich gefragt, woher ich komme und weshalb ich meine Herkunft so lange irgendwie verabscheute, runterspielte, mich lieber mit anderen kulturellen Phänomenen beschäftigte, nur nicht mit meiner ‚Kultur‘. Ich weiß nicht einmal, was unsere ‚Kultur‘ ist. Ich weiß nicht, wer überhaupt in der Schweiz wäre, wenn sie nicht so reich wäre. Mein Freund sagte einmal, die Schweiz sei wie eine Mutter, die dich ernährt, dir ein Dach über dem Kopf gibt, immer alles perfekt putzt, dir immer saubere Kleidung zum Anziehen gibt; sie gibt dir aber nie einen Kuss, nie eine Umarmung. Sie gibt dir keine Liebe.
Ich schäme mich, und ich empfinde eine tiefe Trauer, dass Menschen mit derselben Hautfarbe wie ich so viel Leid anrichteten und anrichten. Dass ich vielleicht selbst Leid angerichtet habe oder sogar immer noch Leid anrichte? Wer weiss. Ich hoffe nur, dass sich nie irgendwer von mir dehumanisiert, nicht respektiert oder sogar diskriminiert fühlte oder fühlt. Das ist meine grösste Angst. Und falls dies der Fall war, ist dies kaum zu entschuldigen, aber ich entschuldige mich trotzdem.